Grundlagen des Überspannungsschutzes bei Photovoltaikanlagen
Überspannungsschutz ist ein entscheidendes Element für die Langlebigkeit und Zuverlässigkeit von Photovoltaikanlagen. Definitionsgemäß liegt eine Überspannung vor, wenn die Netzspannung von 230 Volt überschritten wird. Solche Spannungsspitzen können durch verschiedene externe Faktoren wie direkte oder indirekte Blitzeinschläge, Netzschwankungen oder Schaltvorgänge im Stromnetz verursacht werden und zu erheblichen Schäden an empfindlichen elektronischen Komponenten führen.
Besonders bei Photovoltaikanlagen besteht ein erhöhtes Risiko für Überspannungsschäden, da die Anlagen auf dem Dach montiert sind und somit eine exponierte Position einnehmen. Ein adäquater Überspannungsschutz ist daher unerlässlich, um kostspielige Schäden zu vermeiden und die Betriebssicherheit der Anlage zu gewährleisten.
Laut Statistiken führen Überspannungsschäden jährlich zu Versicherungsfällen im Wert von mehreren Millionen Euro. Der Wechselrichter als zentrales und zugleich sensibles Element einer PV-Anlage ist dabei besonders gefährdet, da er die Nahtstelle zwischen Gleichstrom- und Wechselstromseite darstellt und somit von beiden Seiten durch Überspannungen bedroht werden kann.
Die aktuelle Normenlage, wie sie unter anderem vom Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e.V. (VDE) definiert wird, sieht vor, dass Photovoltaikanlagen mit einem angemessenen Überspannungsschutz ausgestattet sein müssen, um den Anforderungen der Versicherungen zu genügen und einen langfristigen, störungsfreien Betrieb zu gewährleisten.
Häufige Missverständnisse zum Thema Blitzschutz bei Photovoltaikanlagen
Im Zusammenhang mit Photovoltaikanlagen und Überspannungsschutz existieren einige Missverständnisse, die geklärt werden sollten:
- Erhöhte Blitzeinschlagsgefahr: Eine weit verbreitete Annahme ist, dass Photovoltaikanlagen auf dem Hausdach die Wahrscheinlichkeit eines Blitzeinschlags erhöhen. Diese Annahme ist jedoch nicht korrekt. Die einschlägigen Fachverbände, darunter der VDE, bestätigen, dass eine Photovoltaikanlage das Risiko eines Blitzeinschlags nicht erhöht.
- Erdungspflicht für Balkonkraftwerke: Ein weiteres Missverständnis betrifft die vermeintliche Notwendigkeit einer separaten Erdung für Balkonkraftwerke. Dies ist aus zwei Gründen nicht erforderlich:
- Der Mikrowechselrichter ist bereits über das Schutzkontaktkabel an einer geerdeten Steckdose im Hausnetz angeschlossen.
- Die Gleichstromspannung der PV-Module (maximal vier Module) liegt unterhalb der Sicherheitsgrenze für Kleinspannung von 120 Volt Gleichspannung, wodurch keine separate Erdung erforderlich ist.
Es ist wichtig zu verstehen, dass ein Blitzschutz und ein Überspannungsschutz unterschiedliche Funktionen erfüllen. Während ein Blitzschutz dazu dient, direkte Blitzeinschläge kontrolliert abzuleiten, schützt der Überspannungsschutz die elektronischen Komponenten vor Spannungsspitzen, die durch Blitzeinschläge in der Nähe oder andere Faktoren verursacht werden können.
Die folgende Tabelle zeigt die wichtigsten Unterschiede zwischen Blitzschutz und Überspannungsschutz:
Merkmal | Blitzschutz | Überspannungsschutz |
---|---|---|
Primäre Funktion | Schutz vor direkten Blitzeinschlägen | Schutz vor Spannungsspitzen |
Komponenten | Fangeinrichtungen, Ableitungen, Erdungsanlage | Ableiter Typ 1, 2 und 3 |
Installation | Äußere Struktur des Gebäudes | Im Stromkreis der Anlage |
Schutzziel | Gebäude und Menschen | Elektronische Geräte und Komponenten |
Normgrundlage | DIN EN 62305 | DIN VDE 0100-443 und -534 |
Die verschiedenen Kategorien von Überspannungsschutzgeräten
Überspannungsschutzgeräte werden in verschiedene Kategorien eingeteilt, die jeweils spezifische Schutzfunktionen erfüllen und an unterschiedlichen Punkten im elektrischen System installiert werden. Die drei Haupttypen sind:
Überspannungsschutz Typ 1
Der Überspannungsschutz Typ 1 wird auch als Grobschutz oder innerer Blitzschutz bezeichnet. Er ist der erste Teil eines mehrstufigen Überspannungsschutzkonzepts und dient dazu, Überspannungen infolge direkter oder naher Blitzeinschläge abzufangen. Dies geschieht durch einen Potentialausgleich zwischen aktiven Leitern und der Erde. Diese Schutzgeräte werden typischerweise am Hausanschlusskasten installiert.
Überspannungsschutz Typ 2
Während der Typ 1 als Grobschutz fungiert, ist der Überspannungsschutz Typ 2 ein Mittelschutz. Er dient dazu, Spannungsspitzen zu reduzieren, die den Typ 1 Schutz passiert haben oder durch Schalthandlungen im Netz entstehen können. Diese Schutzgeräte werden typischerweise in der Haupt- oder Unterverteilung installiert.
Überspannungsschutz Typ 3
Der Überspannungsschutz Typ 3 ist ein Feinschutz, der für den vollständigen Schutz direkt am Endgerät sorgt. Er fängt Restspannungen ab, die vom Typ 1 und Typ 2 Schutz nicht vollständig neutralisiert werden konnten. Diese Schutzgeräte werden typischerweise in der Nähe sensibler Endgeräte oder direkt an der Steckdose installiert.
Seit 2018 sind Überspannungsschutzgeräte Typ 1 und Typ 2 in Neubauten gesetzlich vorgeschrieben. Sie werden im Zählerschrank installiert und schützen die gesamte nachgeordnete Elektroinstallation. Für Photovoltaikanlagen ist jedoch zu beachten, dass der Wechselrichter vor dem Zählerschrank installiert ist und daher durch diese Standardschutzeinrichtungen nicht geschützt wird.
Die optimale Konfiguration des Überspannungsschutzes sollte an die spezifischen Gegebenheiten der Photovoltaikanlage angepasst werden und alle relevanten Komponenten schützen.
Optimale Installation des Überspannungsschutzes in PV-Systemen
Die korrekte Installation des Überspannungsschutzes ist entscheidend für die effektive Absicherung der Photovoltaikanlage. Hier sind die wichtigsten Maßnahmen zur optimalen Implementierung:
- Erdung des Montagegestells: Die Unterkonstruktion der Photovoltaikanlage sollte über eine Potentialausgleichsleitung (Erdungskabel) mit der Haupterdungsschiene verbunden werden. Dies gewährleistet einen sicheren Ableitungspfad für Überspannungen, die durch indirekte Blitzeinschläge entstehen können.
- Installation eines Generatoranschlusskastens: Möglichst nah am Eintrittspunkt der PV-Anlage ins Gebäude sollte ein Generatoranschlusskasten installiert werden. Im Idealfall ist dieser mit einem Kombiableiter (Überspannungsschutz Typ 1 und Typ 2) ausgestattet. Bei der Auswahl des Generatoranschlusskastens sollte auf die Kompatibilität mit der Anzahl der MPPT-Tracker des Wechselrichters geachtet werden.
- Zusätzlicher Schutz bei langen Kabellängen: Wenn die DC-Leitung vom Gebäudeeintritt (Generatoranschlusskasten) zum Wechselrichter länger als 10 Meter ist, sollte auf dieser Strecke ein zusätzlicher DC-Überspannungsschutz Typ 1 und 2 installiert werden. Gleiches gilt für AC-Kabel zwischen Wechselrichter und Hauptverteilung, die länger als 10 Meter sind.
- Beachtung des Sicherheitsabstands bei äußeren Blitzschutzsystemen: Bei Gebäuden mit einem äußeren Blitzschutzsystem muss ein Sicherheitsabstand von 0,5 bis 1 Meter zwischen den Fangstangen des Blitzschutzsystems und der PV-Anlage eingehalten werden. Ist dies nicht möglich, muss am Gebäudeeintritt unbedingt ein Kombigerät (Überspannungsschutz Typ 1 und 2) installiert werden.
Die spezifischen Anforderungen an den Überspannungsschutz können je nach lokalen Gegebenheiten variieren. Faktoren wie die geografische Lage, die Blitzhäufigkeit in der Region und die spezifische Konfiguration der PV-Anlage spielen eine wichtige Rolle. Daher empfiehlt es sich, bei der Planung und Installation des Überspannungsschutzes einen Fachmann zu konsultieren.
Eine oft übersehene Tatsache ist, dass die Wirksamkeit des Überspannungsschutzes maßgeblich von der Qualität der Installation abhängt. Lange Leitungswege und scharfe Biegungen können die Schutzwirkung erheblich beeinträchtigen. Die fachgerechte Installation ist daher ebenso wichtig wie die Auswahl der richtigen Komponenten.
Die folgende Liste fasst die wichtigsten Aspekte zusammen, die bei der Installation des Überspannungsschutzes zu beachten sind:
- Kurze Verbindungswege zwischen den Überspannungsschutzgeräten und den zu schützenden Komponenten
- Vermeidung von Induktionsschleifen durch parallel geführte Leitungen
- Regelmäßige Überprüfung der Funktionsfähigkeit der Überspannungsschutzgeräte, insbesondere nach bekannten Blitzeinschlägen in der Nähe
- Dimensionierung der Überspannungsschutzgeräte entsprechend der maximalen Betriebsströme und -spannungen der PV-Anlage
- Berücksichtigung der Umgebungsbedingungen (Temperatur, Feuchtigkeit) bei der Auswahl der Überspannungsschutzgeräte
Spezifische Empfehlungen für verschiedene Wechselrichtertypen
Die Wahl der richtigen Überspannungsschutzlösung hängt auch maßgeblich vom verwendeten Wechselrichtertyp ab. Hier gibt es signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Herstellern:
Wechselrichter mit austauschbarem Überspannungsschutz
Einige Hersteller wie Fronius oder Kostal bieten Wechselrichter mit modularem, austauschbarem Überspannungsschutz an. Der Vorteil dieser Lösung liegt in der einfachen Wartung: Bei Auslösung des Überspannungsschutzes kann dieser kostengünstig ausgetauscht werden, ohne den gesamten Wechselrichter ersetzen zu müssen.
Bei diesen Wechselrichtertypen ist es in der Regel ausreichend, einen Generatoranschlusskasten mit Überspannungsschutz Typ 1 und 2 am Gebäudeeintritt zu installieren. Bei DC-Kabellängen von knapp über 10 Metern kann unter Umständen auf einen zusätzlichen Überspannungsschutz verzichtet werden, da der modular austauschbare Schutz im Wechselrichter im Falle einer Auslösung einfach ersetzt werden kann.
Wechselrichter mit fest integriertem Überspannungsschutz
Hersteller wie SunGrow, GoodWe oder Huawei bauen in ihre Wechselrichter fest integrierte Überspannungsschutzgeräte ein. Diese bieten zwar einen grundlegenden Schutz, können jedoch bei Auslösung nicht separat ausgetauscht werden. In diesem Fall verliert der Wechselrichter seinen integrierten Überspannungsschutz.
Bei diesen Wechselrichtertypen empfiehlt es sich, nach spätestens 10 Metern DC-Kabellänge einen zusätzlichen externen Überspannungsschutz Typ 1 und 2 zu installieren. Dies dient dazu, den internen Überspannungsschutz des Wechselrichters zu entlasten und das Risiko einer Auslösung zu minimieren.
Schutzmaßnahme | Wechselrichter mit austauschbarem Schutz (z.B. Fronius) | Wechselrichter mit fest integriertem Schutz (z.B. SunGrow) |
---|---|---|
Generatoranschlusskasten am Gebäudeeintritt | Empfohlen: Kombiableiter Typ 1+2 | Empfohlen: Kombiableiter Typ 1+2 |
Zusätzlicher Schutz bei DC-Kabellängen >10m | Optional bei geringer Überschreitung | Dringend empfohlen |
Zusätzlicher Schutz bei AC-Kabellängen >10m | Empfohlen | Empfohlen |
Kosten bei Auslösung des Schutzes | Gering (nur Austausch des Moduls) | Potenziell hoch (ggf. Wechselrichtertausch) |
Empfehlungen für Balkonkraftwerke
Für Balkonkraftwerke gelten besondere Bedingungen. Da hier maximal vier PV-Module zum Einsatz kommen und die Gleichstromspannung unterhalb der Sicherheitsgrenze für Kleinspannung liegt, ist kein spezieller Überspannungsschutz erforderlich. Die Erdung erfolgt automatisch über das Schutzkontaktkabel des Mikrowechselrichters, der in einer Steckdose im Hausnetz eingesteckt ist.
Die Forschungsstelle für Energienetze und Energiespeicher (FENES) der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg bestätigt, dass für Balkonkraftwerke aufgrund ihrer geringen Leistung und Spannung keine besonderen Überspannungsschutzmaßnahmen erforderlich sind, sofern das Gebäude über einen standardmäßigen Überspannungsschutz im Zählerschrank verfügt.
Die Bedeutung eines mehrstufigen Überspannungsschutzkonzepts
Ein effektives Überspannungsschutzkonzept sollte mehrstufig aufgebaut sein, um eine optimale Schutzwirkung zu erzielen. Die verschiedenen Schutzebenen arbeiten dabei zusammen, um die Energie der Überspannung schrittweise zu reduzieren:
- Erste Schutzebene: Überspannungsschutz Typ 1 am Hausanschluss oder Generatoranschlusskasten fängt den Großteil der Energie bei direkten oder nahen Blitzeinschlägen ab.
- Zweite Schutzebene: Überspannungsschutz Typ 2 in der Unterverteilung oder am Wechselrichter reduziert die verbleibende Energie auf ein für elektronische Geräte verträgliches Maß.
- Dritte Schutzebene: Überspannungsschutz Typ 3 direkt an sensiblen Endgeräten sorgt für einen Feinschutz und neutralisiert verbliebene Restspannungen.
Die Koordination dieser Schutzebenen ist entscheidend für die Effektivität des Gesamtsystems. Es muss sichergestellt werden, dass die verschiedenen Schutzgeräte korrekt aufeinander abgestimmt sind und in der richtigen Reihenfolge ansprechen. Dies wird als Selektivität bezeichnet und ist ein wesentliches Merkmal eines professionellen Überspannungsschutzkonzepts.
Wartung und Überprüfung des Überspannungsschutzes
Ein installierter Überspannungsschutz ist keine „Set-and-Forget“-Lösung, sondern erfordert regelmäßige Wartung und Überprüfung. Dies ist besonders wichtig nach bekannten Blitzeinschlägen in der Nähe oder nach extremen Wetterereignissen.
Viele moderne Überspannungsschutzgeräte verfügen über optische Zustandsanzeigen, die anzeigen, ob das Gerät noch funktionsfähig ist oder bereits ausgelöst hat. Diese Anzeigen sollten regelmäßig kontrolliert werden, um sicherzustellen, dass der Schutz weiterhin gewährleistet ist.
Die Bundesnetzagentur empfiehlt eine jährliche Überprüfung des Überspannungsschutzes durch einen Fachmann, insbesondere in Regionen mit hoher Blitzschlaghäufigkeit. Bei dieser Gelegenheit können auch die Erdungsverbindungen und Potentialausgleichsleitungen auf Korrosion und festen Sitz überprüft werden.
Zu beachten ist, dass Überspannungsschutzgeräte Verschleißteile sind, die nach mehreren Auslösungen oder nach Ablauf ihrer Lebensdauer ersetzt werden müssen. Die meisten Hersteller geben eine Lebensdauer von etwa 10 Jahren an, abhängig von den Umgebungsbedingungen und der Anzahl der Auslösungen.
Überspannungsschutz als essentieller Bestandteil jeder PV-Anlage
Der Überspannungsschutz ist ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Photovoltaikanlage und sollte bereits in der Planungsphase berücksichtigt werden. Die Investition in einen adäquaten Schutz ist im Vergleich zu den potenziellen Kosten durch Überspannungsschäden relativ gering und amortisiert sich bereits durch die Vermeidung eines einzigen Schadensfalls.
Die Empfehlungen zum Überspannungsschutz lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Installation eines Generatoranschlusskastens mit Kombiableiter (Typ 1 und 2) am Gebäudeeintritt
- Berücksichtigung der Kabellängen und gegebenenfalls Installation zusätzlicher Schutzgeräte
- Beachtung der spezifischen Eigenschaften des verwendeten Wechselrichtertyps
- Regelmäßige Überprüfung und Wartung der Schutzeinrichtungen
Diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Lebensdauer der Photovoltaikanlage zu verlängern und deren Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Ein gut konzipierter Überspannungsschutz bietet Sicherheit und Zuverlässigkeit und ist damit eine lohnende Investition in die Zukunft der erneuerbaren Energieversorgung.
Der Überspannungsschutz sollte immer als integraler Bestandteil des Gesamtsystems betrachtet werden und an die spezifischen Gegebenheiten der Anlage angepasst sein. Eine fachkundige Beratung und Installation durch qualifizierte Elektrofachkräfte ist dabei unerlässlich, um einen optimalen Schutz zu gewährleisten.
Letztes Update des Artikels: 6. Mai 2025